In Memoriam Dorothy Taubman

Dorothy Taubman (1917-2013) ist am 3. April in New York gestorben. Sie ist 95 Jahre alt geworden.

Sie war eine der größten Denkerinnen in der Klavierpädagogik und half unzählbaren Pianisten, Einschränkungen in ihrer Technik zu überwinden oder von physiologischen Beschwerden zu heilen. Sie zeigte mit Genauigkeit die Verbindungen zwischen Verletzungen und der Spielweise von Pianisten auf.

Die Unterrichtsethik dieser großen Musikerin ist für uns alle ein Vorbild. Sie betrachtete nie Einschränkungen oder Probleme als Mangel an Talent sondern als eine veränderbare Tatsache, für die der Lehrer Mitverantwortung trägt. Für sie könnte jeder lernen (auch wenn nicht gleich schnell) auf Expertenniveau zu spielen durch das korrekte Verständnis der benötigte Bewegungen und Funktionen.

Ihr Wissen, ihre Methoden und deren beeindruckenden Ergebnisse sind ihr Vermächtnis.
Herzlichen Dank Mrs. Taubman.

Hier die Traueranzeige der New York Times.

Über die Ursachen von Verletzungen bei Pianisten und einige Mythen, die sie umgeben. Informationen für verletzte Pianisten

Als Pianist, der nach der Taubman-Lehre („Taubman Approach“) ausgebildet wurde und an der Rehabilitation von verletzten Pianisten beteiligt ist, treffe ich regelmäßig überforderte, gelegentlich sogar verzweifelte Pianisten, die von ihren Verletzungen berichten, sei es persönlich oder z. B. im Internet in Erfahrungsberichten und Hilfeaufrufen in Klavierforen. Weil ich mich selbst einmal in dieser Situation befand, lässt mich so etwas nicht gleichgültig. In letzter Zeit wurde ich aber erneut damit konfrontiert, dass sich Pianisten ernstzunehmenden chirurgischen Eingriffen unterzogen haben, in der Hoffnung, von ihren spielbedingten Verletzungen geheilt zu werden. Das war letztendlich der Auslöser dafür, diesen Artikel zu schreiben.

Der folgende Text ist als Hilfestellung und Informationsquelle für Pianisten gedacht, die unter einer Verletzung (oder auch „Unbequemlichkeiten“ beim Spielen) leiden, und insbesondere für diejenigen, denen eine chirurgische Behandlung vorgeschlagen wird. Die folgenden Informationen basieren auf den Erkenntnissen von Dorothy Taubmans Arbeit und sind nicht allein Ausdruck meiner persönlichen Erfahrungen und Meinung.

Die Auswahl der hier behandelten Themen richtet sich danach, wie häufig entsprechende Fragen vorkommen. Der Text folgt einen logischen Aufbau. Sie können aber auf das Thema klicken, das Sie interessiert, um direkt dorthin zu gelangen.


  1. Die Ursache von Verletzungen

  2. Chirurgische Eingriffe und invasive Maßnahmen

  3. Womit Verletzungen nicht zusammenhängen – zu einigen Annahmen über die Ursache von Verletzungen

  4. Die Medizin und die Probleme der Pianisten

  5. Was tun?

  6. Über einige Methoden der somatischen Erziehung (Alexander-Technik und Feldenkrais-Methode) und ihre Unterschiede mit der Taubman Lehre

  7. Zeit gewinnen: einige gesunde und empfehlenswerte Maßnahmen, die jedoch Ihre Beschwerden nicht auf lange Sicht lösen werden

  8. Einige praktische Hinweise



1- Die Ursache von Verletzungen

Verletzungen, ein unbequemes oder unangenehmes Gefühl entstehen überwiegend durch physisch falsche Bewegungen oder Positionen und sind auf die Art und Weise zurückzuführen, wie Pianisten ihr Instrument spielen. Sie sind vermeidbar.

(Hierzu zählen nicht die vorübergehenden Folgeerscheinungen von Unfällen, wie z. B. bei einer Verstauchung oder einem Bruch, oder, in seltenen Fällen, von bereits bestehenden, degenerativen Krankheiten wie die Multiple Sklerose.)

Sehnenentzündungen, Karpaltunnelsyndrom, Epicondylitis (Tennisarm), Synovialzysten und sogar fokale Dystonie [1]– um nur einige von den typischen Problemen zu nennen – sind in der Regel restlos heilbar, indem schädigende Gewohnheiten verändert werden. Den Körper richtige Bewegungen am Klavier erfahren zu lassen führt zu einem Abklingen dieser Symptome. Ebendiese Bewegungen erlauben die Erfüllung aller musikalischen und körperlichen Anforderungen an das pianistische Repertoire. Das zeigt seit mehr als 40 Jahren die Arbeit der Klavierpädagogin Dorothy Taubman, die vor allem in den USA angewendet wird.

Wer nicht damit vertraut ist, kann sich « Choreography of the Hands », eine Dokumentation von Ernest Urvater über die Arbeit von Taubman, ansehen (Hinweis: nur auf Englisch vorhanden):

(Siehe sonst auch weiter unten).

 

2- Chirurgische Eingriffe und invasive Maßnahmen

Logischerweise behandelt ein chirurgischer Eingriff (oder entzündungshemmende Medikamente wie Cortison) die Symptome der Beschwerden, nicht aber ihre Ursache. Auch wenn dies eine Erleichterung bringt, ist diese nur vorübergehend, sollte der Patient anschließend so weiter spielen wie bisher, d.h. die verursachenden Bewegungen weiterhin ausführen. Aus diesem Grund ist von chirurgischen Eingriffen und anderen Maßnahmen, die derart drastisch oder riskant sind, in vielen Fällen abzuraten. Abgesehen davon, dass diese vermutlich vermieden werden können, sollten Sie sich vorher unbedingt über die dauerhafte Erfolgsquote informieren (sofern der Patient die regelmäßige und normale Ausübung seines Instruments wiederaufnimmt): Was lässt sich aus den Statistiken ableiten? Welche Risiken, abgesehen von dem generellen Risiko einer eventuellen Narkose, geht man mit der angedachten Operation ein?

 

3- Womit Verletzungen nicht zusammenhängen – zu einigen gängigen Annahmen über die Ursachen von Verletzungen

  • Im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Annahme entstehen Verletzungen im Wesentlichen nicht durch eine exzessive (im Englischen „overuse“), sondern vielmehr durch eine falsche Beanspruchung („misuse“) des Körpers. Das erklärt warum zahlreiche Pianisten täglich über viele Stunden ohne jedes Problem oder körperliche Beschwerden spielen, während andere bereits nach wenigen Minuten Schmerzen oder Ermüdungserscheinungen verspüren.

  • Diese sind nicht auf einen für das Klavierspielen ungeeigneten Körperbau zurückzuführen. Es gab immer Pianisten unterschiedlichster Körpergrößen und Proportionen, von kleiner Statur und mit kleinen Händen (z. B. Godowsky, Hofmann, Rosalyn Tureck oder de Larrocha, um nur einige zu nennen).

    Um das gesamte Repertoire spielen zu können, genügt es im Prinzip schon, eine Oktave erreichen zu können. Ich persönlich habe nie einen Erwachsenen getroffen, der zu kleine Hände für eine Oktave hatte (nur einige, die glaubten, zu kleine Hände zu haben – was jedoch nicht stimmte und ohne Dehnungsübung erreicht werden kann). Zu kleine Hände oder eine zu zierliche Konstitution sind allein keine Ursache von Verletzungen.

  • Verletzungen sind nicht die Folge eines Mangels an Muskelkraft oder -ausdauer.
    Ein Gefühl von Schwäche oder fehlender Ausdauer entsteht durch eine inadäquate Koordination, die wiederum häufig auf den isolierten Einsatz der Körperteile, die beim Klavierspiel einbezogen sind (beispielsweise der vierte Finger, der kein schwächerer Finger ist, wenn er richtig eingesetzt wird), zurückzuführen ist. Neben einer Widerlegung durch physiologische Argumente [2] hat Dorothy Taubman bezogen auf die Annahme, dass Übungen zur Muskelstärkung oder –ausdauer notwendig seien um Virtuosität zu erlangen, folgendes beobachtet:

    Jede neue Musikergeneration hat ihre Wunderkinder und beweist, dass auch Kinder mit weitaus weniger starken Körpern und kleineren Händen, als Erwachsene sie haben, mit Leichtigkeit ein Repertoire spielen können, das vielen Erwachsenen trotz längerer Übung nicht (oder nur mit Schwierigkeiten) gelingt. Es besteht kein Zweifel darüber, dass diese Kinder ein außerordentliches Talent besitzen, physisch unterscheiden sie sich dennoch nicht von anderen Menschen. Das wäre nicht möglich, wenn zuvor jahrelanges körperliches Kraft- und Ausdauertraining vonnöten wäre.

    Um einige Beispiele zu nennen: Claudio Arrau spielte Liszts „Études d’exécution transcendante“ im Alter von 11 Jahren oder Dinu Lipatti das Klavierkonzert von Grieg mit 13 und Eugeny Kissin mit 12 Jahren das 1. Klavierkonzert von Chopin:

  • Verletzungen sind kein Problem psychologischen sondern physischen Ursprungs mit einem reellen physischen Hintergrund, dessen psychische Auswirkungen verheerend sein können. Ohne in Frage stellen zu wollen, dass Somatisierung existiert, darf nicht übersehen werden, dass diese in unserem Kontext meistens solchen Personen als Erklärung dient, die die Verletzung nicht erklären können bzw. für die Somatisierung die einzige mögliche – oder eventuell die bequemste Erklärung ist.

  • Probleme in der allgemeinen Körperhaltung spielen in gewissen Fällen eine Rolle, sind aber nicht allein die Erklärung und die Ursache von allen Verletzungen. Verletzungsgründe, wie z. B. Fehlhaltungen oder eine schlechte Ausrichtung von den direkt im Spiel einbezogenen Gelenken zueinander, sind öfter im Bereich der Hände, Finger oder Unterarme zu finden.

[Verzeichnis]

 

4- Die Medizin und die Probleme der Pianisten

Die Musikmedizin ist ein sich stetig entwickelndes Gebiet.

Zu meinem Bedauern war die speziell auf die Probleme von Musikern ausgerichtete Medizin in meinem Fall nicht erfolgreich. Meine früheren Beschwerden wegen einer Myalgie bei gleichzeitiger Taubheit des fünften Fingers konnten trotz der Konsultation mehrerer Spezialisten der Sport- und Musikmedizin – alles zuverlässige Fachleute und sehr um Abhilfe bemüht – nicht beseitigt werden. Diese Erfahrung haben leider auch viele meiner Pianistenkollegen gemacht.

Ich möchte nicht die Forschungen und Ergebnisse auf diesem Gebiet der Medizin herabwürdigen. Alle diese Bemühungen sind notwendig, begrüßenswert und können natürlich erfolgreich sein. Der menschliche Körper und seine Funktionsweise sind hochkomplexe Themen, von denen ein Arzt mehr versteht als ein Musiker. Doch ebenso komplex ist der Körper in alldem, was er braucht und auch, was er nicht braucht einschließlich der richtigen Bewegungen, um effizient und auf gesunde Weise ein Instrument wie das Klavier zu spielen. Es ist verständlich, dass hier die Medizin nicht immer alles richtig versteht. Zwei der Spezialisten, die ich konsultiert habe, spielten selbst Klavier (einer von ihnen galt als Wunderkind). Sie waren dennoch nicht in der Lage zu erkennen, dass meine Schmerzen aus Fehlern in meiner Spieltechnik herrührten.

Problematisch ist auch, dass man in der Welt der Pianisten auf unzählige verschiedene und oftmals konträre Meinungen, Erziehungstraditionen und -methoden der Spieltechnik stößt, was nicht nur unter Pianisten für Verwirrung sorgt, sondern auch der Medizin nicht hilfreich ist.

Selbst, als virtuoser Pianist oder Pianistin zu gelten, ist keine Garantie dafür, sich der Mittel bewusst zu sein, die einem erst zu dieser Virtuosität verhelfen oder diese Mittel analysieren und korrekt beschreiben zu können. (Allein, sich selbst zu analysieren, ist eine komplizierte Aufgabe. Und eine solche Analyse scheint für einige Pianisten mit einem ausgesprochen guten Körperinstinkt nur selten notwendig zu sein.) Man denke an Horowitz, der angesichts seiner ersten Fernsehaufnahme irritiert war und in einem Interview seine Spieltechnik als mitunter „horrible“ bezeichnete, weil er entdeckte, dass er genau die Dinge tat, von denen er seinen Schülern doch abriet.

Es sollte bedacht werden, dass die Musikmedizin oftmals nur in der Lage ist, Symptome zu diagnostizieren und zu behandeln ohne die Ursachen beheben zu können (ein Problem, das teilweise vonseiten der Medizin erkannt wird) – und dass die vorgeschlagenen Lösungen manchmal auch experimentellen Charakter haben können.

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5- Was tun?

Ein verletzter Pianist sieht sich auf der Suche nach einer Lösung seiner Probleme einer Bandbreite von Möglichkeiten (medizinische, pianistische oder andere) gegenüber, deren Nutzen oft schwer einzuschätzen sind und die kostspielig werden können.

Einige dieser Möglichkeiten beruhen auf wissenschaftlichen Grundlagen (was leider dennoch keine Erfolgsgarantie bedeutet), andere nicht. Es werden viele Aussagen getroffen und der verletzte Pianist sollte die ihm unterbreiteten Behandlungen, Methoden und Informationen hinterfragen und kritisch betrachten. Egal, wie interessant oder beeindruckend eventuell biografische Details oder die Ausbildung der behandelnden Person, die Hilfe anbietet, sein mögen – sie sind nur dann relevant, wenn sie bei der Klärung der folgenden Fragen helfen:

  • Wie hoch ist die nachweisbare Erfolgsquote der in Betracht gezogenen Möglichkeit?

  • Existieren Statistiken? (Fragen Sie danach!) Gibt es andernfalls eine Liste von (identifizierbaren) Personen, die eine bedeutende Zahl von Heilungen zeigt (d. h. im Sinne einer überwiegenden Mehrheit und mehr als nur Einzelfälle)? Diese Fragen müssen eindeutig beantwortet werden, nicht nur durch verallgemeinernde Behauptungen oder schlichte Meinungsbekundungen – egal, wer sie beantwortet.

  • Wenn es Fälle von Heilungen gibt, betreffen sie auch Musiker, die das gleiche Instrument spielen wie Sie? (Stimmbandprobleme bei Sängern oder Lippenbeschwerden bei Trompetern beispielsweise stehen nicht unbedingt in einem Zusammenhang mit Ihren Beschwerden.)

  • Haben die angewandten Maßnahmen das Problem dauerhaft gelöst? Und können diese Musiker heute ohne jede Einschränkung und auf einem Niveau, das ihrem Berufsstandard entspricht, ihr Instrument spielen? Zwar ist es wichtig, die Symptome zu beseitigen, doch ist dies nur ein erster Schritt für einen Musiker, der in das Musikleben zurückkehren möchte. Diese Rückkehr sollte nicht auf ein begrenztes Repertoire beschränkt werden.

Ich persönlich würde jedem verletzten Pianisten empfehlen und insbesondere jedem, der kurz davor steht, sich einer Operation zu unterziehen, einen Lehrer aufzusuchen, der umfassend mit der Taubman-Technik und ihrer Unterrichtung vertraut ist. Denn ich kenne keine andere Methode, die in Fällen dieser Art eine solch hohe Heilungsrate erzielt (ich selbst zähle zu diesen Fällen und kenne persönlich viele andere).

Leider ist es nicht immer einfach, einen solchen Ausbilder zu finden, da die Mehrheit dieser Lehrer in den USA unterrichtet. Man kann allerdings über Skype Unterricht nehmen, auch wenn dies nicht die Qualität einer direkten persönlichen Diagnose oder Intervention bietet. Hier spielen, wie überall, die Kompetenz und die Erfahrung der ausbildenden Person eine wichtige Rolle (wobei ein kurzer Einblick in die Technik allein keine ausreichende Grundlage für die Lösung solcher Probleme darstellt).

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6- Über die unterschiedlichen Möglichkeiten der somatischen Erziehung (Alexander-Technik und Feldenkrais-Methode) und ihre Unterschiede mit der Taubman Lehre.

Die Techniken der somatischen Erziehung (wie die Alexander-Technik oder die Feldenkrais-Methode) zielen darauf ab, das Bewusstsein vom eigenen Körper und seinen Bewegungen zu stärken, um eine bessere Funktionsfähigkeit sowie ein besseres körperliches und psychisches Wohlbefinden zu ermöglichen.

Diese Techniken sind nicht in erster Linie darauf ausgelegt, spezifische Probleme zu lösen (zum Beispiel solche, die beim Spielen eines Instruments auftreten) oder Verletzungen zu heilen. Es handelt sich bei ihnen nicht nur um Therapien, auch wenn sie eventuell einen therapeutischen Effekt erzielen können. Vielmehr vermitteln sie eine höhere Sensibilisierung für sich selbst und dadurch auch die Möglichkeit eines besseren „Selbst-Gebrauchs“ (Alexander-Technik), indem eventuell schädigende Gewohnheiten abgelegt, unnötige Muskelanspannungen vermieden oder Körperbewegungen und ‑haltungen optimiert werden (und wiederum daraus abgeleitet, die Lösung möglicher physiologischer Beschwerden).

Die Alexander-Technik und die Feldenkrais-Methode haben einige gemeinsame Ansätze, unterscheiden sich aber in den angewendeten Methoden. Während sich die Alexander-Technik besonders auf eine gesunde und dynamische Beziehung zwischen Kopf, Hals und Rumpf (die „Primärsteuerung“) konzentriert, zielt die Feldenkrais-Methode auf das Erspüren und Entdecken des Körpers und seiner Bewegungsmuster durch Bewegung ab.

Da diese Methoden nicht an und für sich auf die Ausübung eines Instruments ausgerichtet sind (und keinen Ersatz für das Erlernen einer Spieltechnik darstellen), werden die Unterrichtenden den Musikern (oder Sportlern etc.) eher eine Anleitung zum Erforschen des eigenen Körpers geben, um ihnen bei der Linderung oder Lösung ihrer speziellen Probleme zu helfen.

Einige der Unterrichtenden entwickeln und veröffentlichen auf den Grundlagen dieser Techniken eigene, detaillierte Methoden, die auf eine spezielle körperliche Aktivität, wie z. B. das Spielen eines Musikinstruments, ausgerichtet sind. Diese Interpretationen oder Anwendungen sind dann in ihren spezifischen Details persönlich (es gibt nicht die eine offizielle Alexander-Technik für das Klavierspielen, die Feldenkrais-Methode für Reitkunst etc.). Die Wirksamkeit dieser Methoden wird daher von der Qualität der individuellen Schlussfolgerungen beeinflusst, aber auch durch andere Techniken, Konzepte oder Annahmen bei der jeweiligen Aktivität (Klavier, Turnen, Ballett etc.), die auch integriert werden (müssen).

Leider können eine gesunde Methode wie die Alexander-Technik (oder Feldenkrais) und eine weniger gesunde Denkweise über die Spieltechnik miteinander kombiniert werden – was folglich trotzdem zu Problemen führen kann (oder in schlimmsten Fällen, zu Verletzungen). In diesen Fällen muss man das Urteilsvermögen bewahren, diese Probleme nicht auf den Grundlagen der Alexander-Technik oder Feldenkrais-Methode – die keine speziellen Anweisungen für das Spielen eines Instruments sind – zurückzuführen, sondern eher in den persönlichen Schlussfolgerungen und anderen Konzepten, mit denen sie der jeweilige Lehrer kombiniert hat.

Das Klavierspiel erfordert eine Choreografie und komplexe Koordination der Finger, der Hände, der Vorderarme und des Oberkörpers sowie das effiziente Zusammenspiel mit den Mechanismen des Instruments. Die beiden vorgestellten Techniken zur somatischen Erziehung werden in sich nicht alle Details und Besonderheiten aller notwendigen Bewegungen geben können (oder wollen). Sie werden eher das Erforschen und Entdeckungen erleichtern, die Sie selbst machen werden müssen, während diese versuchen Sie in die richtige Richtung zu lenken – d. h., von sich selbst „guten Gebrauch“ zu machen.

Die Alexander-Technik (mit der ich persönlich stärker vertraut bin als mit der Feldenkrais-Methode) vermittelt anatomisches Wissen über den Körper sowie eine bestimmte Art, über den Körper zu denken und eine Sensibilisierung, die in allen Bereichen des körperlichen Lebens nützlich ist. Ich würde diese empfehlen, egal, welcher Aktivität man nachgeht.

Ich habe zwischen der Taubman-Lehre, der Alexander-Technik und der Feldenkrais-Methode keine bedeutsamen Widersprüchlichkeiten beobachtet. Alle drei Lehren beruhen auf einer Philosophie des nichtschädigenden, also optimalen Einsatzes des Körpers – wobei sie aber verschiedene Herangehensweisen mit unterschiedlichen Zielen bleiben.

Die Taubman-Lehre basiert auf physiologischen Prinzipien, die auch in anderen Bereichen verwendet werden können (z. B. beim Computerschreiben oder beim Violinenspiel). Ursprünglich und hauptsächlich ist diese Methode eine Klaviertechnik (auch wenn sie zuerst wegen ihrer therapeutischen Wirkung bekannt geworden ist). Sie wurde in Bezug auf das Klavier entwickelt mit dem Ziel, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen: die musikalische Expression und Virtuosität, die man mit (und durch) Rücksicht auf den Körper erreicht. So bietet die Taubman-Lehre eher nicht eine Erforschung oder Untersuchung des eigenen Körpers, sondern eine direkte Analyse und eine präzise Beobachtung der Bewegungen und Ausrichtung der Finger, der Hand, der Vorderarme und des Oberkörpers, die für ein effizientes und expressives Klavierspiel notwendig sind. Sie kann zudem genau beschreiben, welche Bewegungen zu Verletzungen führen.[3]

Die Alexander-Technik hingegen bietet einem Pianisten nicht diesen Grad an Präzision, auch wenn diese ihm nützlich sein kann. Im Gegensatz kann sie ganz allgemein und unabhängig von der ausgeübten Aktivität und den Körperteilen, die in diese Aktivität einbezogen sind, angewendet werden. Diese Universalität hat die Alexander-Technik mit der Feldenkrais-Methode gemeinsam. Einige meiner Kollegen sehen in der Taubman-Methode und der Alexander-Technik Lehren, die komplementär sein können, eine Meinung, die ich ebenfalls teile.

Die Beschreibungen dieser drei Methoden sind natürlich unvollständig. Ich hoffe aber, etwas Licht in ihre Unterschiede gebracht haben zu können.

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7- Zeit gewinnen: Einige gesunde und empfehlenswerte Maßnahmen, die jedoch Ihre Beschwerden nicht auf lange Sicht lösen werden

  • Generell ist es der eigenen Gesundheit und der Widerstandsfähigkeit des Körpers nur förderlich, Sport zu treiben und körperlich aktiv zu leben. Doch in Hinblick auf die oben aufgeführten Gründe reicht eine solche Lebensweise allein nicht aus, um den Folgen sich wiederholender schädigender Bewegungen beim Spiel entgegenzuwirken.

  • Möglicherweise verschwinden die Symptome, wenn nach einer Verletzung für längere Zeit das Spielen unterbrochen wird. Dies ist jedoch auf lange Sicht insofern keine Lösung, als dass diese Symptome wiederkehren, sobald bei der Rückkehr zu seinem Instrument die gewohnten Bewegungen wiederholt werden. Manchmal treten die Symptome sehr schnell wieder auf.

  • Ebenso ist es eine gesunde Maßnahme, während der täglichen Arbeit mit dem Instrument regelmäßige Pausen einzulegen. Dies kann die Symptome (wie Ermüdung der Muskeln) erträglicher werden lassen, weil ihre Verschlimmerung verhindert wird – doch die eigentliche Ursache der Beschwerden bleibt bestehen. Zahlreiche Pianisten jedes Alters spielen täglich problemlos viele Stunden hintereinander – ein Zeichen gesunder Interaktion mit dem Instrument.

  • Massagen können eine temporarische und willkommene Linderung von bestimmten Symptomen herbeiführen, werden allerdings nicht deren Wiederkehr verhindern können.

  • Das gleiche kann von phamarmazeutischen Schmerzmitteln gesagt werden: Entzündungshemmer oder andere. Hier ist das Etikett „gesunde und empfehlenswerte Maßnahme“ in Frage zu stellen…

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8- Einige praktische Hinweise

Es ist nicht möglich, in wenigen Zeilen alle Ursachen von Verletzungen bei Pianisten zu beschreiben, dies würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die Ursache von Symptomen kann ein einziger Faktor oder eine Kombination von Problemen sein.

Es folgen aber einige allgemeine Ratschläge, deren Erwähnung wichtig ist, auch wenn sich ein paar davon auf das gesunde Körperverständnis berufen, das manche schon gebrauchen oder empfehlen.

Ohne die Lösung für ein spezifisches Problem zu beschreiben, sollten diese Hinweise das Schlimmste zu verhindern helfen.

  • Achten Sie auf die Reaktionen Ihres Körpers. Ein unangenehmes Gefühl, Ermüdung oder Schmerzen beim Spielen einer bestimmten Passage sind Zeichen für eine falsche Bewegung. Muskelermüdungen oder Taubheitsgefühle haben ihre Ursache nicht in mangelnder Ausdauer, sondern zeugen von der Notwendigkeit, die Art und Weise der körperlichen Annäherung an diese Passage zu korrigieren. Diese Anzeichen zu ignorieren, kann zu Verletzungen führen. Die richtigen Bewegungen erlauben nicht nur, die Passage auf angenehme Weise zu spielen, sondern auch die Kontrolle, die notwendig ist für den musikalischen Ausdruck. Das eine darf nicht ohne das andere gehen.

  • Sollten Sie feststellen, dass Ihnen die Methoden, in denen Sie unterrichtet werden (oder die Sie selbst unterrichten), körperliche Beschwerden verursachen, stellen Sie diese in Frage, ungeachtet des Respekts, den Sie Ihrem jetzigen (oder ehemaligen) Lehrer entgegenbringen. Ihr körperliches Wohlbefinden (oder das Ihrer Schüler) steht an erster Stelle. Natürlich unterrichtet kein Lehrer bewusst eine möglicherweise schädigende Spieltechnik, und niemand ist dessen schuldig, was er nicht weiß. Doch die Häufigkeit der Verletzungen bei Pianisten zeigt, dass das, was hinsichtlich der Spieltechnik weitergegeben wird, nicht immer gesund oder effizient ist und einer Weiterentwicklung bedarf. Man kann das musikalische Denken eines Musikers hochschätzen, ohne mit seinem Konzept der Spieltechnik einverstanden zu sein. Es wird der Person, die Sie unterrichtet, nur nützlich sein, wenn Sie ihr Ihre Erfahrungen mitteilen.

  • Einige der Kräftigungs-, Ausdauer- und besonders Dehnungsübungen, die manchmal unter Pianisten empfohlen werden, können Verletzungen herbeiführen. Die Notwendigkeit solcher Übungen ist anfechtbar, doch auch dies ist ein Thema, das den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. Hier ist, wie sonst, ein gesundes Körperverständnis wichtig. Fühlen sich diese Übungen unangenehm oder unbequem an, verzichten Sie darauf.

  • Weil dies nicht immer allgemeine Zustimmung findet: Ein guter Fingersatz erleichtert immer das Spielen einer Passage und dadurch auch das objektive Zuhören sowie die Kontrolle und den musikalischen Ausdruck. Das ist wieder ein Thema, das mehr als einige Zeilen verdient, aber auch hier ist ein gesundes Körperverständnis wichtig. Vermeiden Sie z. B. Fingersätze, die Ihnen eine unnötige Dehnung abverlangen, verteilen Sie Noten zwischen den Händen, wenn es hilft. Seien Sie nicht dogmatisch und denken Sie immer daran, dass ein Legato manchmal statt mit den Fingern besser mit einer geschickten Verwendung der Pedale ausgeführt werden kann. Entscheidend ist, was man hört – die Wahl der Mittel zur Ausführung liegt bei Ihnen.

  • Entspannung ist nicht die Lösung aller Probleme. Natürlich sollte unnötige Spannungen vermieden werden; allerdings kann es zu Verletzungen führen, wenn der Körper an den falschen Stellen beim Spiel entspannt wird (z. B. indem man das Handgelenk einsinken lässt).

  • Falls Sie Kinder unterrichten: Beobachten Sie und fragen Sie, ob diese unbequeme oder unangenehme Gefühle beim Spielen erleben. Die Antwort könnte überraschend sein: manchmal nehmen sie unbewusst oder ohne es zu sagen an, dass Schmerzen oder unangenehme Gefühle beim Klavierspielen normal sind. Eine häufige Ursache von unangenehmen Gefühlen ist (bei Kindern wie bei Erwachsenen), dass am Tastenboden weiter gedruckt wird.

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Wenn Sie Fragen oder Anmerkungen haben, setze ich mich gern damit auseinander. Sie können mich kontaktieren. Es folgen weitere Artikel.


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[1] Die Fälle von fokaler Dystonie können schwieriger liegen und benötigen oft eine längere Umschulungszeit, können aber trotzdem geheilt werden. Wenn Sie von einer fokalen Dystonie betroffen sind, könnte Sie dieser Link und auch dieser interessieren. [Zurück]

[2] Dorothy Taubman, “A teacher’s perspective on musicians’ injuries”,
In: Roehmann, F. L. and Wilson, F. R. (Eds), The Biology of Music Making: Proceedings of the 1984 Denver Conference, St. Louis, MO, MMB Music, Inc., 144-153 (1988). [Zurück]

[3] Dorothy Taubman erklärt, nichts erfunden, sondern eher beobachtet und analysiert zu haben, was Pianisten, die mit Leichtigkeit spielen, für ein effizientes Spiel tun. (Eine der Schwierigkeiten ist, dass diese Elemente fast unsichtbar sein können.) Außer dem schon oben erwähnten Film „Choreography of the Hands“ empfehle ich besonders „The Taubman Techniques“, eine enzyklopädische Reihe von 10 DVDs über Klaviertechnik, die eine detaillierte Erklärung von der Analyse Taubmans durch Edna Golandsky präsentiert – faszinierend für jeden Pianisten. [Zurück]

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